Vollsperrung verhindern: konkrete Fragen in Schreiben an die Bahn

Aus meinen zwei Veranstaltungen mit Michael Joukov MdL und Matthias Lieb (VCD) sind viele konkrete Fragen und Forderungen entstanden. Dazu haben wir drei grüne Landtagsabgeordnete im Rems-Murr-Kreis nun gemeinsam mit einer Pressemitteilung reagiert: Als Reaktion auf das bahnseitige Kommunikations-Desaster bei der Streckensperrung zwischen Waiblingen und Stuttgart fordern die Grünen-Landtagsabgeordneten aus dem Rems-Murr-Kreis, Sperling, Häffner und Nentwich gemeinsam mit dem bahnpolitischen Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Joukov, in einem gemeinsamen Appell an die Deutsche Bahn personelle Konsequenzen und einen Neuanfang bei der Kommunikation. Die Abgeordneten erwarten jetzt umfassende Transparenz und verlangen nachdrücklich Aufklärung über mögliche Lösungsmöglichkeiten. Im Rahmen zweier öffentlicher Info-Veranstaltungen mit dem Landtagsabgeordneten Michael Joukov und dem VCD-Landesvorsitzenden Matthias Lieb wurde dazu auch ein Fragenkatalog erarbeitet.

„Nachdem die Bahn jahrelang der Öffentlichkeit vorgaukelte, alles laufe problemlos, hat nun die kurzfristig angekündigte Streckensperrung zwischen Waiblingen und Stuttgart zu einem unwiederbringlichen Vertrauensverlust bei der Deutschen Bahn geführt, mit Auswirkungen auf den ganzen öffentlichen Personenverkehr und nichts weniger als den Erfolg der Mobilitätswende im Großraum Stuttgart. Jetzt führt an personellen Konsequenzen bei der Deutschen Bahn und einem echten Neuanfang in der Kommunikation kein Weg mehr vorbei. Die Bahn ist in der Pflicht, Schaden zu begrenzen und verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen“, betont die Grünen-Landtagsabgeordnete Swantje Sperling.

Gemeinsam mit den weiteren Grünen-Landtagsabgeordneten aus dem Rems-Murr-Kreis, Petra Häffner und Ralf Nentwich, fordert Swantje Sperling in einem Appell an die Deutsche Bahn die betroffenen Städte und Gemeinden umgehend in die laufenden und zukünftigen Vorhaben einzubeziehen. Häffner und Nentwich: „Nur gemeinsam mit dem Verband Region Stuttgart, dem Rems-Murr-Kreis und den betroffenen Kommunen ist jetzt ein lösungsorientiertes Vorgehen im Sinne der Fahrgäste möglich. Wir erwarten zudem, dass Inhaberinnen und Inhaber von Zeitkarten kurzfristig und unbürokratisch für die nicht erbrachte Leistung entschädigt werden. Die Bahn ist in der Verantwortung, den Vertrauensverlust zumindest zu begrenzen.“

Der bahnpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Michael Joukov, erwartet von der Deutschen Bahn zudem jetzt umfassende Transparenz über die Hintergründe der Sperrung und zugleich Aufklärung über mögliche Lösungsmöglichkeiten. Joukov: „Nach dem Kommunikationsdesaster ist die Bahn jetzt in der Pflicht, für Transparenz und Aufklärung zu sorgen. Jetzt gilt es, alle Karten offen auf den Tisch zu legen, um zumindest die Sperrung räumlich auf zwei der vier Gleise oder zeitlich auf die Nachtstunden zu begrenzen. Auch gilt es, jetzt ohne Denkverbote Alternativen zu prüfen, etwa was eine alternative Wegeführung über Ludwigsburg, Zubringerverkehre nach Remseck zur Stadtbahn oder eine Taktverdichtung des Direktbusses Waiblingen-Ludwigsburg.

In ihrem gemeinsamen Appell haben die Grünen-Landtagsabgeordnete ein Vorschlagsbündel formuliert, um die verfahrene Situation zu verbessern. Zu prüfen wäre demnach etwa ein eingleisiger Pendelbetrieb zwischen Bad Cannstatt und Waiblingen, wenn nur maximal drei Gleise gesperrt werden. Auch stellt sich die Frage nach alternativen Bauverfahren, die keine Vollsperrung nötig machen. Wichtig wäre aus Sicht der Abgeordneten auch, die betroffenen Kommunen im Hinblick auf Umsetzungsmöglichkeiten für eine Busbevorrechtigung oder kurzfristigen Radschnellverbindungen umfassender einzubinden.

Lesen Sie hier den gemeinsamen Appell der Grünen-Landtagsabgeordneten mit dem öffentlich erarbeiteten Fragenkatalog an die Deutsche Bahn:

Link zur PDF: Keine Vollsperrung Waiblingen-S: Schreiben an die DB Netz AG

Bild Keine Vollsperrung

Stuttgart, 26.03.2023
Gemeinsamer Appell:Schaden begrenzen und Alternativen prüfen! 

Sehr geehrter Herr Krenz,

Fahrgäste und politisch Verantwortliche wie der Verband Region Stuttgart (VRS), der Rems-Murr-Kreis oder die betroffenen Städte und Gemeinden wurden von der Deutschen Bahn hinsichtlich der kurzfristig angekündigten Streckensperrung zwischen Waiblingen und Stuttgart vor vollendete Tatsachen gestellt. Bahnstrecken gehören zur Daseinsvorsorge und sind ein Rückgrat unserer Mobilität.

Für uns wird, im Lichte immer neuer Nachrichten in der Sache, immer klarer, dass unzureichend zwischen der Notwendigkeit von Bauarbeiten auf der einen Seite und den Fahrgastinteressen auf der anderen Seite abgewogen worden ist. Wir sehen die Deutsche Bahn in der Pflicht, die Bauarbeiten so zu gestalten, dass ein Grundangebot auf einer viergleisigen Bahnstrecke sichergestellt werden kann. Dass der Baufortschritt über die Fahrgastinteressen gestellt wird, darf nicht noch zu Boni führen, sondern muss im Rahmen des Missmanagements und der Kommunikationskatastrophe zu personellen Konsequenzen führen.

Laut Zahlen des VRS pendelten bereits im Jahr 2010 fast 64.000 Fahrgäste auf dieser Strecke. Seitdem wurde der S-Bahn-Takt sogar auf 15 Minuten verdichtet, es gibt neue IRE- und MEX-Verbindungen, so dass die Fahrgastzahlen heute deutlich höher sein werden. Klar ist auch, dass die bislang angekündigten Streckensperrungen in der Region nur der Anfang sind – die Problematik wird mit weiterem Baufortschritt sich nur verlagern, so etwa in Richtung Böblingen. Wer beispielsweise von Endersbach nach Filderstadt pendelt, wird rund ein halbes Jahr durch Sperrungen und Ersatzverkehre massive Zeit- und Komfortverluste zu spüren bekommen – ein untragbarer Zustand. Zudem sind während der Sperrung u.a. auch wichtige Abiturprüfungen.

Um die vielen Fahrgäste zwischen Waiblingen und Stuttgart während der Vollsperrung zu befördern, wären im direkten Schienenersatzverkehr rund 100 Busse nötig – damit bräuchten die Busse eine gesamte Spur hin und zurück für sich alleine. Allein angesichts des Mangels an Busfahrerinnen und Busfahrer dürfte dies ein enormes Problem sein. Offenbar gar nicht berücksichtigt wurden Großveranstaltungen wie das Stuttgarter Frühlingsfest oder Heimspiele des VfB Stuttgart. Hier droht der Verkehrsinfarkt! Von weitergehenden Folgen, wie beispielsweise angetrunkene Autofahrende aufgrund fehlender Alternativen ganz zu schweigen.

Die aus unserer Sicht einzige halbwegs realistische Option, den Infarkt zu vermeiden, ist, den S-Bahn-Betrieb so lange wie möglich bis zum Haltepunkt Nürnberger Straße aufrecht zu erhalten und die SSB zu bitten, den Takt auf der U1 zu verdichten. Wenn der Betrieb der „Nürnberger Straße“ nicht möglich ist, wäre auch der Umstieg zwischen den Haltestellen Fellbach (S-Bahn) und Esslinger Straße (U-Bahn) nicht gerade angenehm, aber denkbar. Als weitere Option wäre der Einsatz von einer ausreichenden Zahl von Pendelbussen zwischen dem Bahnhof Waiblingen und einem der U1/U16-Halte in Fellbach (vermutlich Höhenstraße). Wenn die S2 und die S4 vom Westen kommend bis Bad Cannstatt fahren können und dort umkehren, und die Strecke zwischen Bad Cannstatt und Nürnberger Straße/Fellbach/Waiblingen mit der U-Bahn (und ggf. Bus) überbrückt werden kann, würde die Reisedauer zwar länger, und die Fahrgäste belastet werden, aber es immerhin möglich sein, aus dem Rems-Murr-Kreis kommend, Ziele in Stuttgart mit dem ÖPNV zu erreichen. Wenn, was zu vermuten ist, die Kapazität der U1 seitens der SSB nicht kurzfristig ausgeweitet werden kann, weil nicht genügend Fahrzeuge und Fahrer*innen zur Verfügung stehen, könnte gleichwohl eine „Entlastungslinie“ zwischen Fellbach und Neckarpark eingerichtet werden, diese hätte einen relativ kurzen Umlauf, und würde einen „Rückumstieg“ in die S-Bahn in Bad Cannstatt ermöglichen.

Darüber hinaus erwarten wir Auskunft im Hinblick auf folgende Fragestellungen, die wir Rahmen zweier öffentlicher Info-Veranstaltungen, u. a. mit dem VCD-Landesvorsitzenden und Bahnexperten Matthias Lieb, erarbeitet haben:

  • Werden die betroffenen Gemeinden eingebunden um gemeinsam innovative Lösungen zu finden, etwas Pop-Up-Radwege oder Busbevorrechtigung?
  • Welche und wieviel der Arbeiten könnten nachts getätigt werden, um die Störungen tagsüber zu minimieren?
  • Welche Rolle könnte die Kleine Murrbahn Backnang-Ludwigsburg spielen?
  • Lassen sich die Bauarbeiten räumlich unterteilen?
  • Ist eine Verlegung der Sperrungen in die verkehrsärmeren Sommerferien möglich?
  • Was steht einem eingleisigen Pendelbetrieb im Rahmen der Arbeiten entgegen, da die Strecke durchgängig viergleisig ist?
  • Wurde eine Umplanung geprüft, bei der für die Fahrgäste ein Rumpfangebot aufrechterhalten wird, z. B. in Form eines Pendelverkehrs (ohne Zwischenhalte) zwischen Bad Cannstatt und Waiblingen auf einem Gleis?
  • Laufen Absprachen mit Trägern bestehender ÖPNV-Angebote, um hier Ersatzverkehre zu integrieren, z. B. über eine Taktverdichtung des Direktbusses Waiblingen-Ludwigsburg auf zehn Minuten, zur Anbindung an die Stadtbahnlinie U12 in Remseck in Richtung Stuttgart
  • Wurden auch alternative Bauverfahren, z. B. Horizontalbohrgeräte anstelle des Entfernens von Gleisjochen zum Bau von Kabelkanälen, geprüft?
  • Plant die Deutsche Bahn an ihren Bahnhöfen und Haltepunkten den Einsatz von Servicepersonal zur Reisendenlenkung von und zum Schienenersatzverkehr? Falls ja, auch an den kleinen Haltepunkten und zu Randzeiten?

Unstreitig ist, dass die Digitalisierung notwendig ist, um den Schienenknoten Stuttgart leistungsfähiger zu machen. Vom Europäischen Zugbeeinflussungssystem ECTS profitiert auch der öffentliche Schienenpersonennahverkehr. Die Bahnreform ist allerdings als zentrales Projekt der Bundesregierung ein entscheidender Beitrag für die Mobilitätswende, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen. In diesem Kontext ist eine Vollsperrung keine zeitgemäße Lösung.

Wir appellieren nachdrücklich an Sie,

  • die SSB, den Verband Region Stuttgart, den Rems-Murr-Kreis und die betroffenen Städte und Gemeinden umgehend in die laufenden und zukünftigen Vorhaben einzubeziehen. Nur gemeinsam mit den lokalen Akteuren ist ein lösungsorientiertes und intermodales Vorgehen im Sinne der Fahrgäste und für den Erfolg der Mobilitätswende möglich.
  • personelle Konsequenzen bei den Verantwortlichen der Deutschen Bahn zu ziehen. Aus unserer Sicht muss die ungenügende kurzfristige Kommunikation in Verbindung mit der zuvor getätigten irreführenden Kommunikation, die nicht auf diese Problematik hingewiesen hat, Folgen haben.
  • Inhaberinnen und Inhaber von Zeitkarten kurzfristig und unbürokratisch für die nicht erbrachte Leistung zu entschädigen, um zumindest den Vertrauensverlust in den öffentlichen Schienenpersonennahverkehr zu begrenzen.

Mit freundlichen Grüßen

Swantje Sperling                                                    Petra Häffner

Ralf Nentwich                                                         Michael Joukov