Höhere Dämme allein reichen nicht mehr: Klimaschutz ist Hochwasservorsorge

Alleine mit dem Bau  immer höherer Dämme werden wir uns nicht vor den Folgen des Starkregens schützen können, durch den Klimawandel werden die Katastrophen häufiger und extremer. Klimaschutz ist ein zwingender Teil der Hochwasservorsorge. Dazu meine Pressemitteilung: „Jeder investierte Euro spart im Schadensfall mehr als fünf Euro“, erklärt die Landtagsabgeordnete Swantje Sperling (GRÜNE) bei einer Podiumsdiskussion zum Hochwasserschutz, zu der über einhundert Interessierte ihrer Einladung ins Feuerwehrmuseum Winnenden gefolgt waren. „Bei einem Jahrhunderthochwasser schützen die bereits geschaffenen technischen Hochwasserschutzanlagen Vermögenswerte von etwa 10,7 Milliarden Euro.“ Daher seien die 1,8 Milliarden Euro, die Baden-Württemberg in den letzten Jahren in den Hochwasserschutz investiert hat, mehr als gut angelegtes Geld.

Die Komplexität des Themas wurde in der knapp zweistündigen Diskussion deutlich. In einer Sache herrschte absolute Einigkeit: Aus den Hochwasser-Katastrophen der letzten Jahre müssen nachhaltig Konsequenzen gezogen werden. Sarah Heim, Expertin für Katastrophenvorsorge, sprach von der Gefahr der „Katastrophendemenz“. Ihr Beispiel: In der Schweiz werden derzeit trotz der aktuellen Hochwasserereignisse die zwanzig Jahre alte Hochwasserschutzplanung als überdimensioniert in Frage gestellt. Dies zeige, wie schnell die Erinnerung an vergangene Katastrophen verblassen könne und wie wichtig es sei, langfristig zu denken. Heim mahnte, dass man aus solchen Erfahrungen lernen und die Gefahren des Klimawandels kontinuierlich ernst nehmen müsse.

Sarah Heim sieht in vielen Fällen wirtschaftliche Interessen und die intensive Landnutzung im Widerspruch zu effektivem Hochwasserschutz. Es müssten kreative Lösungen gefunden werden, die sowohl den Schutz vor Überschwemmungen als auch die Bedürfnisse der Landwirtschaft und nachhaltigen Stadtentwicklung berücksichtigten, was oft schwierige Kompromisse und langfristiges Denken erfordere.

„Der Klimawandel macht Starkregen und Hochwasser häufiger und intensiver. Wir müssen unsere Schutzmaßnahmen anpassen“, forderte Prof. Dr.-Ing. Gerhard Haimerl von der Hochschule Biberach. Der Experte für Bauingenieurwesen und Projektmanagement unterstrich die Notwendigkeit, Kosten-Nutzen-Verhältnisse neu zu bewerten. Auch bei privaten Bauvorhaben sieht er Handlungsbedarf und wies auf kritische Aspekte bei der Bauplanung hin. Er führte aus, dass oft Fehlplanungen wie Kellertreppeneingänge am tiefsten Punkt des Grundstücks oder barrierefreie Zugänge ohne ausreichenden Hochwasserschutz zu beobachten seien, die im Ernstfall gravierende Folgen haben könnten.

Haimerl weitete den Blick: Während früher bei Hochwasser hauptsächlich von Flüssen eine Gefahr ausgegangen sei, komme es heute auf kleinstem Raum durch Starkregen zu Schäden, beispielsweise an Hängen. Das Starkregenrisiko müsse daher kleingliedrig in die Gefahrenanalyse eingehen. Er zeigte auch die Grenzen des technischen Hochwasserschutzes auf und betonte, dass trotz aller Maßnahmen ein Restrisiko bleibe und man sich auf die Folgen vorbereiten müsse, die nicht mehr verhindert werden könnten.

Andreas Hieber, der in Leutenbach eine Baumschule betreibt, berichtete von seinen Erfahrungen: „Es regnet immer mehr, und es wird immer mehr in gefährdete Gebiete gebaut.“ Diese Entwicklungen erschweren den natürlichen Wasserrückhalt. Ein konkretes Beispiel verdeutlichte die Unberechenbarkeit von Hochwasserereignissen: „Der Buchenbach ist in der Nacht schnell und plötzlich über die Ufer getreten, obwohl es nicht geregnet hatte und die Warn-Apps keinen Anlass zur Sorge gegeben hatten“, ergänzte Hieber.

Angesichts der Grenzen technischer Lösungen gewinnt die Eigenvorsorge an Bedeutung: „Jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten, um Schäden zu minimieren“, sagte Vanessa Kruse vom Regierungspräsidium Stuttgart. Sie stellte die Hochwassergefahrenkarten und Broschüren vor, mit denen sich Bürgerinnen und Bürger informieren können – wichtige Quellen, die vielen aber leider noch nicht bekannt seien. „Die Karten bieten wertvolle Einblicke in potenzielle Überflutungsgebiete und helfen bei der individuellen Risikoeinschätzung.“

Sperling erläuterte, dass seit 2016 in Baden-Württemberg das Modulare Warnsystem MoWaS landesweit im Einsatz sei. Dieses System ermögliche die zeitgleiche Auslösung verschiedener Warnkanäle wie Warn-Apps, Cell Broadcast, Sirenen und Informationen über Rundfunk und Fernsehen. Sie betonte, dass dieses vielschichtige System das Rückgrat der Hochwasservorsorge bilde. Zudem wies sie darauf hin, dass Apps wie NINA und regionale Warn-Apps, zusammen mit dem Hochwasserportal Baden-Württemberg und den Hochwassergefahrenkarten, den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, sich umfassend über potenzielle Risiken in ihrer Region zu informieren und im Ernstfall schnell zu reagieren.

Die Synergie zwischen Naturschutz und Hochwasservorsorge wurde von Daniel Baier vom NABU Rems-Murr betont: „Renaturierung und dezentrale Maßnahmen können kleine Hochwasser verhindern und die Biodiversität fördern. Wir müssen schädliche Eingriffe zurückbauen, um die natürliche Retention wiederherzustellen.“ Er unterstrich die Bedeutung der natürlichen Dynamik und erklärte, dass ein sich ständig veränderndes Ökosystem Voraussetzung für Artenvielfalt sei. Baier wies darauf hin, dass keiner der kleinen Bäche heute noch unverändert sei und nannte als Beispiel Winnenden, wo der Buchenbach und der Zipfelbach komplett verbaut seien.

Baier plädiert für einen Paradigmenwechsel: „Wir können es uns in Zukunft weder leisten noch ist es möglich, Dämme immer höher und Rückhaltebecken noch größer und größer zu bauen. Wir müssen der Natur dort, wo Menschen nicht gefährdet sind, wieder mehr Raum geben.“ Er erklärte, dass Bäche, Flüsse und ihre Randbereiche eine einzigartige Vielfalt an Lebewesen beherbergen und Platz brauchen, um ihre vielfältigen Funktionen wie Hochwasserschutz, Nährstoffretention, Grundwasserbildung und Schadstoffreduktion erfüllen zu können.

„Hochwasserschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Der Bund, das Land, die Kommunen und jeder Einzelne tragen Verantwortung“, hob Swantje Sperling die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes hervor. Sie appellierte an die Bürgerinnen und Bürger, sich bei ihren Kommunen zu informieren, ob die notwendigen Unterlagen bereitgestellt und ob vorgeschriebene Maßnahmen wie Gewässerschauen durchgeführt werden. Aufgabe der Kommunalpolitikerinnen und -politiker sei, ihre Verwaltungen auf diese wichtige Aufgabe hinzuweisen.

Sperling ergänzte, dass sie als Vorsitzende der kommunalpolitischen Vereinigung GAR ihre grünen Gemeinderätinnen und Gemeinderäte darauf hinweise und umfassend informiere. „Gemeinsam können wir uns besser schützen“, fasste Sperling die Diskussion zusammen, es gelte die komplexen Wechselwirkungen zwischen Klimawandel, Wetterextremen und unserer Umwelt stets im Blick behalten. „Nur mit diesem ganzheitlichen Ansatz können wir den Herausforderungen unserer Zeit wirkungsvoll begegnen und unsere Gemeinden nachhaltig schützen.“

Pressespiegel:

Stuttgarter Zeitung vom 8. Oktober 2024