Gutes zum neuen Jahr: Stadtführung in Winnenden bietet neue Einblicke

Am 4. Januar folgten mehr als achtzig Interessierte der Einladung der Landtagsabgeordneten Swantje Sperling und trafen sich samstagnachmittags am Brunnen auf dem Winnender Marktplatz, um mit Stadtführer Martin Baier auf Spurensuche zu gehen. Diese Spuren der Geschichte finden sich an vielen Häusern und Plätzen der Innenstadt. Martin Baier geht es allerdings nicht um die herkömmliche Geschichte – ihn interessieren die Aspekte, die wenig erforscht und gerne übersehen werden: Kolonialismus, Drittes Reich oder Vielfalt in früheren Zeiten.

Dafür hat Martin Baier in großer Akribie in Anzeigen, im „Volks- und Anzeigenblatt“ und anderen Quellen aus früheren Zeiten fast vergessene Geschichten aufgespürt. Manches Kuriose und Witzige förderte er zutage, etwa den Brauch von Neujahrskarten, die um die Jahrhundertwende in der Buchbinderei Otto angeboten wurden, manche für die Winnender Gesellschaft damals wohl zu lasziv: „Mit schmerzlicher Entrüstung müssen den Volksfreund die gemeinen und lüsternen Darstellungen und Verse erfüllen, welche eine Anzahl dieser Bilderkarten als heimtückisches Gift erscheinen lassen“, echauffiert sich das Amtsblatt.

Auffallend für Martin Baier ist, wie leicht sich die WinnenderInnen und Winnender in früheren Zeiten entrüstet haben: Wenn die Kinder und Jugendlichen auf der innerstädtischen Turmstraße rodelten, wenn „eine Anzahl halbwüchsiger Schlingel mit Schießen und Schreien offen auf der Straße toben, so dass dem Gesunden Hören und Sehen verging, von den Qualen der Kranken ganz abzusehen“. Auf der anderen Seite beeindruckt den Stadthistoriker, wie große die Spendenbereitschaft bei früheren Generationen war: „Man hat immer gesammelt und gespendet.“

Turner, die an Fasching als aufständische „Wilde“ verkleidet sind, Völkerschauen mit einer „echten Rothaut“ aus Colorado, Kommunisten, die von den Nazis auf dem Oberen Kuhberg interniert werden – einige Stationen der eineinhalbstündigen Führung machen klar, wie offen rassistisch es in früheren Zeiten zuging und wie lebensgefährlich es war, im Dritten Reich Widerstand zu leisten und zur Opposition zu gehören. An die Nieren ging die letzte Station am Winnender Schloss, dessen Frauenstation im letzten Kriegsjahr als Reservelazarett diente: Kohle gab’s im harten Winter nur noch für die Küche und die Wäscherei mit der Folge, dass die Mortalitätsrate auf steil anstieg und zahlreiche Patienten noch vor Kriegsende starben.